Integration

Integration in Wettbergen

Spätestens seit 2015 ist das Thema Integration jedem ein Begriff. Auch unsere Gemeinde musste sich konkret mit dem Thema befassen. Während des Aufbaus des Flüchtlingsheims an der Tresckowstraße stellten sich viele Fragen: Welchen Aufgaben würde sich unser Stadtteil stellen müssen? Woher kämen die Flüchtlinge und wie viele und für wie lange? Wie viel Aufwand würde die Betreuung der Hilfesuchenden erfordern? Das Unbekannte macht immer ein bisschen Angst. Integration ist ein langwieriger Prozess, der lange dauern kann und die Bereitschaft beider Seiten „am Ball zu bleiben“ erfordert. Die einen müssen zur Anpassung bereit und die anderen offen für fremde Kulturen sein. Selten läuft es völlig reibungslos. Denn eine gelungene Integration hängt von vielen Faktoren ab, von dem Erlernen der fremden Sprache über die Arbeitssuche bis zum Aufbau eines stabilen Umfeldes. Es erfordert vom Einzelnen viel Kraft und Bereitschaft zur Mitarbeit. Wettbergen hat sich gut vorbereitet und bis heute nicht nachgelassen, durch ehrenamtliches Engagement Flüchtlinge ganz unterschiedlicher Herkunft bestmöglich zu integrieren. Einzelpersonen, aber auch Familien und seit Kurzem viele Kinder werden in unser Leben einbezogen, dank unserer Bereitschaft, auf sie zuzugehen, ihre Lebensgewohnheiten kennen zu lernen und zu respektieren. Die Ergebnisse von zwei Jahren Arbeit des Unterstützerkreises bei der Betreuung der Flüchtlinge sind überwiegend positiv: Einige Flüchtlinge sprechen bereits so gut Deutsch, dass sie eine Ausbildung beginnen konnten. Manche sind schon in eigene Wohnungen umgezogen. Patenschaften mit Bürgern aus Wettbergen/Mühlenberg waren da sehr hilfreich. Natürlich haben die einen oder anderen größere Schwierigkeiten, sich in Deutschland zurechtzufi nden. Hier ist Geduld gefragt. Integration hat es schon immer gegeben. Auch unser Stadtteilbild wird seit langem von Kulturvielfalt geprägt. Doch nicht nur die seit zwei Jahren angekommenen Flüchtlinge leben unter uns, auch andere Ausländer, die hier schon viel früher eine neue Heimat gefunden haben. Vier von ihnen haben uns ihre Geschichte erzählt. Ihre Herkunft und ihr Lebensweg könnten nicht unterschiedlicher sein, jeder von ihnen kommt aus einem anderen Kontinent... Und doch haben sie alle etwas gemeinsam: Sie führen ein erfolgreiches Leben und fühlen sich bei uns wohl.

VÉRONIQUE BÖHM, GISELA OSTERMANN, MARION SPELLERBERG

Aus Vietnam nach Wettbergen – Familie Mo

Frau Mo stammt aus Pleiku in Zentralvietnam. Ihre Eltern waren in den 1940er Jahren vor dem Chinesischen Bürgerkrieg dorthin gefl ohen, und die Familie hatte sich gut eingelebt, bis der Vietnamkrieg sie erneut zur Flucht zwang, dieses Mal nach Saigon, heute Ho-ChiMinh-Stadt. Nach dem Sieg der Vietkong wurde der Besitz ihrer Eltern enteignet, der Vater kam ins Gefängnis und die verzweifelte Mutter von Frau Mo beschloss, zwei ihrer noch minderjährigen Söhne ins Ausland zu schicken, auf dem gefährlichen Weg mit dem Boot über das Südchinesische Meer. Sie wurden von der Cap Anamur, einem deutschen Hospitalschiff, gerettet und kamen auf diesem Weg 1978 nach Deutschland. Der Rest der Familie durfte 1981 nachkommen. Frau Mo war damals elf Jahre alt. Sie stellte keine Fragen, ihr war nur wichtig, mit ihrer Familie zusammen zu bleiben. Sie hatten nichts mitnehmen dürfen und kamen nach einigen Zwischenstationen in Liebenau bei Nienburg an, wo sie freundlich und liebevoll begrüßt wurden, was ihr noch heute in positiver Erinnerung ist. Mit großem Ehrgeiz machte sich die 11-jährige an das Erlernen der für sie ungewohnten, sehr hart klingenden deutschen Sprache. Sie ging gern in die Schule, es wurde viel gesungen, und so lernte sie die Sprache recht schnell. Sie gewann deutsche Freunde, feierte aber auch gern mit asiatischen Jugendlichen, die wie sie hierher gefl üchtet waren. Nach der Realschule machte sie eine Ausbildung zur Bauzeichnerin. In Hannover lernte sie ihren Mann kennen, der in Malaysia geboren wurde und dessen Eltern zufällig aus derselben Provinz in Südchina stammten wie die Eltern von Frau Mo. Ein Bruder von ihm hat 1992 in Wettbergen im ehemaligen Gasthof Stecker das Chinarestaurant Mo eröffnet. Zwei Jahre später haben Frau und Herr Mo das Restaurant übernommen und führen es mit großem Erfolg. Ihre stets freundliche Art und natürlich das ausgezeichnete Essen haben sich weit über Wettbergens Grenzen herumgesprochen. Alle acht Geschwister haben in Deutschland einen Beruf erlernt oder ein Studium abgeschlossen. Ein Bruder lebt heute in England. Ihre beiden Kinder sind in Deutschland geboren. Der Sohn studiert inzwischen Informatik in Braunschweig und die Tochter bereitet sich auf das Abitur vor. 25 Jahre nach ihrer Ausreise aus Vietnam war Frau Mo zum ersten Mal wieder in der Heimat. Das Land hat sich sehr verändert. Sie wird dort als Fremde gesehen, obwohl sie die vietnamesische Sprache perfekt spricht. Hier hat sie inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft, wird jedoch als Ausländerin eingestuft. Von den meisten Deutschen wird sie freundlich und respektvoll behandelt. Den Schritt, nach Deutschland zu gehen, hat sie nicht bereut, sie hat dies als Kind aber auch nicht entscheiden können. Viel Engagement und Fleiß haben ihr geholfen, hier eine zweite Heimat zu finden.

MARION SPELLERBERG

Aus Syrien nach Wettbergen - Jamal Jumaa

Jamal ist in Syrien geboren und dort aufgewachsen. Er war fünf Jahre Umweltingenieur in Aleppo, als die Situation im Land immer schwieriger wurde und er für sich und seine Familie keine Zukunft mehr in der Heimat sah. Er fl oh vor dem Krieg und ließ seine Frau und ihre beiden Kinder bei den Großeltern zurück, weil er ihnen die Strapazen der Flucht nicht zumuten wollte. Schon als Jugendlicher hatte er sich für Deutschland interessiert. Zunächst war es der Fußball; Jamal ist bis heute Bayern-Fan. Später war Deutschland Vorbild in Sachen Umwelt. Jamals Flucht begann in einem Boot über die Türkei nach Griechenland und führte von dort über Makedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland. Im Juli 2015 erreichte er Passau und im März 2016 kam er nach diversen Zwischenstationen im Flüchtlingsheim in der Tresckowstraße an. Jamal hat mit sehr großem Fleiß mehrere Sprachkurse belegt, kann sich inzwischen fl ießend verständigen und wird bald die sprachlichen Voraussetzungen erfüllt haben, um seinen Master in Umwelttechnologie in Hannover machen zu können. Seit einiger Zeit engagiert sich Jamal beim Umweltzentrum Hannover. Er besucht Flüchtlinge und informiert sie über Mülltrennung und Energie-Sparmaßnahmen. Außerdem arbeitet er bei dem Projekt Gesellschaftliches Engagement für Migranten, Migrantinnen und Deutsche mit. Er engagiert sich sehr im Flüchtlingsheim und hilft dem Unterstützerkreis bei der täglichen Arbeit, zum Beispiel als Übersetzer und Begleiter bei Behördengängen. Vor einigen Monaten konnte Jamal in eine kleine Wohnung nach Ricklingen ziehen. Durch Eigeninitiative und viel Fleiß hat er sich bei uns recht schnell eingelebt und hofft jetzt, dass seine Frau und die beiden Kinder im Rahmen der Familienzusammenführung bald nach Deutschland kommen und sie hier gemeinsam ein krisenfreies Leben beginnen können. Eine Rückkehr nach Syrien käme für Jamal nur dann infrage, wenn dort ein friedliches Leben möglich wäre.

MARION SPELLERBERG

Aus Ghana nach Wettbergen – Paul Wedekin

Paul Wedekin hat sich 2011 mit seiner eigenen PhysiotherapiePraxis in Wettbergen etabliert. Innerhalb kurzer Zeit hat er sich einen sehr guten Ruf erarbeitet und vielen Patienten, auch außerhalb Wettbergens, zu mehr Lebensqualität verholfen. Paul stammt aus Ghana und wurde mit knapp zwei Jahren von einer deutschen Familie adoptiert. Er ist in einem kleinen Ort in der Wedemark aufgewachsen, wo er sich nie fremd gefühlt hat. Seinen Freunden sei seine Hautfarbe egal gewesen („Wir sehen gar nicht, dass du schwarz bist“). Er blickt auf eine glückliche Kindheit zurück und ist sehr dankbar für ein angenehmes und behütetes Leben: „Dank der Liebe meiner Eltern und der frühen Aufklärung über meine Herkunft habe ich nie große Probleme gehabt“. Seine Andersartigkeit wurde ihm als Kind und Jugendlicher nur selten vor Augen geführt, und er wusste sich mit Worten zu wehren, da er ja nie Sprachprobleme hatte. Als Erwachsener und auch in letzter Zeit gab es allerdings auch diskriminierende Äußerungen. „Wenn man nicht schlau genug wäre, würde einen das treffen“. Paul sieht sich selbst als Deutscher mit schwarzer Hautfarbe, geprägt von einem liebevollen Elternhaus und einem gefestigten sozialen Umfeld. Er beschreibt sich lächelnd als sehr deutsch, mit den berühmten Tugenden wie Disziplin, Ehrgeiz, Verlässlichkeit, aber augenzwinkernd fügt er hinzu, dass eine gesunde Portion Gelassenheit und Heiterkeit immer mitschwingt, die vielleicht auf seine afrikanischen Wurzeln zurückzuführen ist. Beeindruckend ist, wie klar er seinen berufl ichen Weg gegangen ist, seinen Traum einer eigenen Praxis verwirklicht hat und soviel Optimismus und Frohsinn verbreitet, dass man sich regelrecht auf die Therapie freut. Paul fühlt sich in Wettbergen wohl.

VÉRONIQUE BÖHM, GISELA OSTERMANN

Aus Mexiko nach Wettbergen - Wendy Ramos Silva

Wendy Ramos Silva kam zur EXPO aus ihrer Heimat Mexiko nach Hannover. Es war Mai und sie war begeistert vom vielen Grün, den Kühen und Gänsen auf der Weide. Ihre Arbeit im Mexikanischen Pavillon machte Spaß, auch wenn sie kein Deutsch konnte. Sie bewunderte die Disziplin der Besucher, die sich an der Bar brav in der Schlange anstellten. Im November flog sie zurück in die Heimat und war bereit ihre Zelte dort abzubrechen, um zu ihrem späteren Mann nach Wettbergen zu ziehen. Sie hatten sich während ihrer Arbeit im Pavillon lieben gelernt. Im kalten Februar 2001 kam sie erneut nach Deutschland: Es war Winter, sie kannte kaum jemanden und sie vermisste ihre große mexikanische Familie sehr. „Ich verstehe gar nichts, was kommt jetzt?“ Über den Sprachunterricht und im mexikanischen Verein der katholischen Mission konnte sie Freundschaften schließen. Bald wurden ihre beiden Kinder geboren und das Lernen der Sprache blieb ein bisschen auf der Strecke. Die folgenden Jahre waren nicht einfach, vor allem, weil Wendy die berufl iche Perspektive fehlte. Das änderte sich 2013, als sie die Ausbildung zur Zumba-Lehrerin absolvierte und schnell merkte, dass es eine gute Wahl war. Sie gibt Kurse für alle Altersgruppen und vermittelt die Freude für den Rhythmus, den sie im Blut hat. Sie besucht ziemlich regelmäßig mit ihren Kindern ihre große Familie und vermisst dadurch die Heimat nicht mehr so stark. „Freunde und Freundinnen sind unsere Familie in Deutschland, und ich denke, ich habe mich gut integriert.“ Am meisten schätzt Wendy hier das Gefühl der Sicherheit in allen Lebensbereichen, das sie nicht mehr missen möchte.
GISELA OSTERMANN